9. Oktober 2023
Von:

Aktion Schichtwechsel 2023

Schichtwechsel – der Aktionstag für neue Perspektiven!

29.09.2023 – Die Räuber wechseln für einen Tag die Schicht bei der Lebenshilfe

Videolinks:
1) myREGIO TV: https://www.youtube.com/watch?v=tD4PTwDhl7c
2) WDR Lokalzeit Aachen: https://www1.wdr.de/lokalzeit/fernsehen/aachen/schichtwechsel-mit-den-koelschen-raeubern-100.html

 

Deutschlandweit arbeiten Menschen im Herbst in Werkstätten für Menschen mit Behinderung mit und erhalten Einblicke in die vielfältigen, beruflichen Förder- und Bildungsangebote. In der Lebenshilfe Heinsberg waren die Räuber zu Gast und schauten den Mitarbeitern mit Behinderung nicht nur über die Schulter, sondern packten alle mit an. Nach dem Mittagessen wurde die Schicht gewechselt und rund 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter feierten ihre kölschen Superstars.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kurz vor der Frühstückspause fuhr der schwarze Sprinter der kölschen Band in Oberbruch vor und fünf gut gelaunte Musiker stiegen aus. Erwartet wurden sie bereits von ihren Job-Paten, Mitarbeitern aus unterschiedlichen Arbeitsschwerpunkten der Werkstätten für Menschen mit Behinderung. „Wir freuen uns total auf diesen Jobwechsel!“ lächelte Sänger Sven West. Nach kurzer Begrüßung und einem heißen Kaffee wurden die Praktikanten dann auch gleich mitgenommen: Gitarrist Andreas Horn, genannt „Schrader“ bekam schwarze Stiefel und eine grüne Arbeitshose und stieg gleich in den Bulli der Landschaftspflege ein. Es ging raus auf das Schulgelände der Gesamtschule Oberbruch, Grünflächen mähen stand auf dem Programm. Schon beim Ausladen schielte Schrader auf den dicken blauen Rasentraktor, den würde er gerne mal fahren. Um erstmal in Schwung zu kommen, wurden Ränder und Seiten zunächst mit dem Handmäher und Seitenschneider bearbeitet. Dann aber ging es tatsächlich rauf auf den blauen Bock: Gas, Bremse, Hebel für den Mähbalken – alles hat Schrader schnell im Griff. „Der hat ja pure Freude!“ bescheinigten ihm seine neuen Kollegen. Und Schrader schwärmte nach seiner Schicht im Grünen: „Das war Mega! Wir arbeiten hier Hand in Hand zusammen, wie ein eingespieltes Fußballteam.“ Kein Wunder, dass Schrader seine Gärtnerkutte anbehielt, als er anschließend auf unsere Bühne ging und vor 400 Mitarbeitern der Werkstätten ein Konzert gab. Sein Fazit: Er würde immer wieder mitarbeiten! Denn das Schönste für ihn ist: „Wir hatten viel Spaß und ich wurde hier wie in einer großen Familie aufgenommen!“

 

 

 

Schlagzeuger Thommy Pieper freute sich auf die Arbeit in der Schreinerei. „Ich hätte richtig Lust, mit der Stichsäge heute ein paar schöne Sachen zu schneiden.“ Als er dann in der Schreinerei ankam, war der Drummer baff: Statt Stichsägen fand er riesige Kreis- und Plattensägen, Kantenumleimer und große Computerterminals vor. Zunächst wurden lange Hölzer auf Maß geschnitten, und Thommy durfte gleich ran an die Ablängsäge. Schreinermeister Daniel Scheeren erklärte die richtigen Handgriffe und bescheinigte dem Praktikanten ein gutes Händchen fürs Holz. Dann wurden Paletten „geschossen“.  Mit einem druckluftbetriebene Nagelautomaten werden die Paletten zusammengebaut. „Schreiner Christian erklärte mir die Arbeitsabläufe. Das war eine professionelle Einarbeitung in den Umgang mit der Druckluftpistole. Was für mich so besonders war? Christian hat das Down-Syndrom und mit seiner Professionalität habe ich echt nicht gerechnet.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Martin Zänder schaute in der manuellen Gruppe bei Elisabeth Merz vorbei, sie ist die Vorsitzende des Werkstattrates, der Selbstvertretung der insgesamt 1100 Mitarbeiter mit Behinderung der Lebenshilfe-Werkstätten. Zurzeit werden in der Gruppe Reparatursets für Weidedraht-Zäune produziert. Damit alle Mitarbeiter trotz körperlicher Beeinträchtigung mitarbeiten können, wurden im Vorrichtungsbau der Werkstätten barrierearme Arbeitsplätze entwickelt. „Hier wird eine sehr hochwertige Arbeit geleistet, die sich die Öffentlichkeit genauer anschauen sollte“, berichtet der Bassist…vor allem, weil die Arbeit nicht das Einzige sei, worauf es in der Werkstatt ankomme: „Ich hatte so viele schöne Gespräche und ich sehe, wie man sich Zeit nimmt für jeden Einzelnen. Hier wird gequatscht, gelacht, und wenn das Radio den richtigen Song spielt, dann wird auch gesungen.“ Als Familienvater beschäftigt sich Martin Zänder auch mit Inklusion an der Schule seiner Kinder. „Teilhabe und Miteinander sind wichtig und müssen gefördert werden. Aber noch wichtiger ist, dass Kinder mit Handicap genauso wie Erwachsene mit Behinderung eine gute Förderung und Begleitung erhalten. In den Werkstätten habe ich gesehen, was heute alles möglich ist!“

 

 

 

Bandmitgründer und Pianist Kurt Feller freute sich auf seinen Einsatz im Café Lesbar. Er liebt es unter Leuten zu sein…und im Café war richtig was los. Die Mitarbeiter des Cafés hatten nicht sehr viel Zeit, alles in Ruhe zu erklären, denn schließlich warteten die Gäste auf ihre Bestellungen. Und als die ersten Gäste bemerkten, wer sie heute bedient, bestellten sie gleich noch nach… „Das macht Riesenspaß! Diese Café-Atmosphäre ist einmalig!“ schwärmte der Pianist. Er erinnert sich oft zurück an eines seiner ersten Konzerte Anfang der 1990er Jahre in einem Heim für ältere Menschen mit Behinderung. „Ich war mir nicht sicher, ob wir mit unserer Band da richtig waren. Aber dann sah ich, mit welcher Begeisterung ein Mann mit schwerer Behinderung in seinem Rollstuhl wippte und wie die Betreuer staunend danebenstanden und mir nach dem Auftritt erklärten, dass sie diese Reaktionen und Freunde gar nicht kannten und aufgrund der Schwere seiner Behinderung auch niemals von ihm erwartet hätten – da kommen mir heute noch die Tränen! Seitdem weiß ich, Musik kann so viel bewegen.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Räuber-Sänger Sven West leistete seinen Zivildienst in der Lebenshilfe Grevenbroich, dort begleitete er Kinder mit schwerer Behinderung. Bewusst hat er sich deshalb für den Einsatz im Förderbereich der Werkstätten gemeldet. Gruppenleiter und Heilerziehungspfleger Nico Giesen holte ihn mit einem der Mitarbeiter am Tourbus ab. Schon in der Kennenlernrunde spürte Sven, dass hier viel Einfühlungsvermögen gefragt ist. Ein Mitarbeiter verstand nicht, warum da ein „Neuer“ mit am Tisch sitzt und wurde sehr unruhig. Freude und Ängste liegen manchmal nah beieinander. Wenn sich ein Mensch dann verbal nicht äußern kann, muss sein Betreuer ihn gut einschätzen und unterstützen können. Aufgrund seiner Erfahrungen in der Lebenshilfe erkannte Sven die Situation und sorgte sich um den Mitarbeiter, der vor Aufregung begann, um sich zu schlagen. „Hier kommen viele schöne Erinnerungen an eine intensive Zivildienst-Zeit wieder hoch“ sagt der Sänger, „und mir ist wieder so bewusst, wie unendlich wichtig die Arbeit der Lebenshilfe für all die Menschen ist, die eine gute und professionelle Begleitung benötigen. Ich würde mir wünschen, dass es den Schichtwechsel noch viel öfter gibt, damit die Menschen sehen und verstehen, wie wichtig Miteinander und Gemeinschaft sind.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nach dem Mittagessen wurde die Schicht dann wieder zurück gewechselt, und die fünf Musiker machten sich an ihre eigentliche Arbeit auf der Bühne im Speisesaal der Lebenshilfe Werkstätten. Rund 450 Mitarbeiter der Werkstätten legten ihre Arbeit nieder und stürmten vor die Bühne. Mit dem ersten Song bebte der Saal und die Räuber legten sich mächtig ins Zeug – ihre Café-, Schreiner- und Gärtnerkleidung hatten die Musiker für ihre neuen „Kollegen“ kurzerhand angelassen. „Dieser Tag war echt etwas Besonderes für uns“ schwärmte Sven West, daran werde ich mich noch lange erinnern!“ Nach ihrem Auftritt auf der Hückelhovener Wiesn am Abend schickten die Räuber noch ein Grußvideo an ihre neue Kollegen und riefen: „Alle für einen, einer für alle…und alle für die Lebenshilfe!“